Die Genusswoche
Vom 12. bis 22. September 2024
une-2020

Editorial 2020 – Zurück auf den Boden und zum gesunden Menschenverstand

Eine Form des Lebens hat sich ihre Berechtigung zurückgeholt. In unseren Köpfen laufen aber widersprüchliche Bilder ab. Märkte im Freien dürfen nicht stattfinden, doch die Einkaufszentren bleiben durchwegs geöffnet. Lange Warteschlangen bilden sich auf den Bauernhof-Märkten, und ab dem ersten Tag der gelockerten Massnahmen auch bei den Fast Food Drive Ins. Auch sehr einprägsam sind die Bilder der Benachteiligten, die plötzlich im Scheinwerferlicht stehen, um im reichsten Land der Welt eine Notration abzuholen.

Hinter jedem wiedergefundenen Hefewürfel und jeder Mehltüte will man sicherstellen, dass ein Reflex hängen bleibt. Gerade genug, um dem Direktverkauf und der Küche im Alltag ein bisschen mehr Platz zu geben.

Die gesundheitliche Situation bringt die Frage des Rechts auf Nahrung für alle mit sich. Das wird zur zentralen Frage. Wohlverstanden, nicht nur wegen der Verflechtung mit der Zerstörung der Ökosysteme, die durch die industrielle Landwirtschaft mit dem Verlust der Biodiversität und durch die Mastbetriebe verursacht wird, sondern auch grundsätzlich für eine «Rückkehr zum Boden».

In der Schweiz ist in 20 Jahren ein Drittel der Landwirtschaftsbetriebe verschwunden. Die Lebensbedingungen der Bauern haben sich verschlechtert. Die Marktöffnung drückt die Preise, wobei die Nahrung im Haushaltsbudget heute 6 % ausmacht. Dieses «monatliche Nichts» fördert die Nahrungsmittelverschwendung: bis zu 35 % der Lebensmittel landen im Abfall.

Die Vereinheitlichung des Geschmacks geht mit dem Verschwinden der tierischen und pflanzlichen Biodiversität einher. Am Schluss bedeutet die Nahrung der Bevölkerung nichts mehr. Die gemeinschaftliche Tischrunde überlässt ihren Platz der schnellen und einsamen Pflichtverpflegung. Und der Kreis schliesst sich für die grossen Nahrungsmittelketten.

Seit 20 Jahren organisieren wir die Schweizer Genusswoche. Mit aller Bescheidenheit können wir sagen, dass wir unseren Teil für eine Veränderung der alltäglichen Ernährung in unserem Land geleistet haben. Mit Slow Food weltweit wollen wir dem Recht auf Nahrung wieder sein Gewicht als wichtigstes Recht der Menschheit geben. Das Auftreten von Konsumentengruppen, welche die geschmackliche Biodiversität unterstützen, und von authentischen Köchen ist ein Hauptelement der weltweiten Bewusstseinsfindung. Die grosse Veränderung beruht in der Tatsache, dass die Nahrungsproduzenten der Lebensmittelindustrie nicht mehr allein gegenüberstehen. Die Konsumenten sind ihre Verbündeten geworden.

Wir feiern unseren 20. Geburtstag mit einem ausserordentlichen Genusspaten, dem bescheidenen Sternekoch Franck Giovannini, der den Appell für das Recht auf gutes Essen mitunterzeichnet hat. Das Heidiland, welches jedes Standbein in zwei Kantonen hat, ist unsere Schweizer Genussregion 2020.

Wir wollen zurückkommen zur Erde, zu ihrer Biodiversität, ihrer Geschmacksvielfalt. Lassen Sie uns gemeinsam die Rückkehr des gesunden Menschenverstands in unserer täglichen Nahrung feiern! So lauten unsere Hoffnung und unser Ziel.

Josef Zisyadis, Direktor der Stiftung Fondation pour la promotion du Goût, Co-Präsident Slow Food Schweiz, Mitglied des Schweizerischen nationalen FAO-Komitee (CNS-FAO)

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